Interview mit dem Berater Nelson Mandelas, Imam Gassa Solomon

28. September 2000


Imam Gassa Solomon gilt als einer der wichtigsten Berater Nelson Mandelas.

Er ist Mitglied der Kommissionen für Recht, Politik und Äußere Beziehungen des ANC, dem er seit seiner Universitätszeit 1958 angehört. 1992 begleitete er Nelson Mandela auf seiner Auslandsreise in den Nahen Osten und nach Europa. Zur Zeit ist er Abgeordneter des ANC im Südafrikanischen Parlament.

Die Lösung der kurdischen Frage wird mit Öcalan erreicht werden

Können Sie unseren Lesern über den Unabhängigkeitskampf in Südafrika und Afrikanischen Nationalkongress (ANC) Auskunft geben?
Nach dem über zwei bis drei Jahrhunderte hinweg eine friedliche Linie verfolgt wurde und man an dem Punkt angelangte, sich in die Position eines Bettlers zu begeben, kam der ANC zum Schluss, dass andere Wege begangen werden müssten. Man kam zur Einsicht, dass ohne das Erreichen einer Kraft, die Kolonialisten dem Anliegen keine Aufmerksamkeit schenken würden. Auch kam man zum Schluss, das ohne eine solche Kraft, die Kolonialisten das Land entgültig unterwerfen und die Unterdrückung und Ausbeutung bis hin zur Barbarei ausweiten würden. Bei der Verwirklichung dieser Absichten versuchten sie aus der friedlichen Linie des ANC ihren Nutzen zu ziehen. Deshalb beschloss der ANC, auf den Vorschlag von Tambo und Nelson Mandela hin, die Aufnahme des bewaffneten Kampfes. Dieser Beschluss wurde in den Sechziger Jahren gefällt. In diesem Zeitraum wurde der ANC verboten und musste seine Aktivitäten in der Illegalität weiterführen. Im Gegensatz zur PKK waren wir in Deutschland nicht verboten. In dieser Zeit war Nelson Mandela derjenige, der die Bewegung immer wieder anführte. Es war eine Notwendigkeit, dass eine Persönlichkeit wie Nelson Mandela den Geist des ANC vertrat.

Was war der Grund, dass man Nelson als Ziel auswählte?
Nelson Mandela vertrat die Schwarzen in Südafrika und auch die Schwarzen ganz Afrikas, sowie die Inder in Südafrika. Aus diesem Grund geriet er ins Visier des Regimes. So wurde er in der staatlichen Propaganda als Kommunist, Terrorist und Atheist diffamiert. Dies war aber nur ein Teil der Antipropaganda. Das Regime, die Regierung glaubte, mit der Neutralisierung Mandelas die Auflösung des ANC zu erreichen. So verhaftete man ihn 1960 bzw. 1961 und im verurteilte im Anschluss zum Tode verurteilt. Am ersten Prozesstag rief er uns dazu auf, das Buch "Der lange Weg zur Freiheit" zu lesen. Damit wollte er uns sagen, gebt dem Kampf eine Richtung und führt ihn weiter. Außer dieser Aussage machte er keine Angaben.

Wie wurde Nelson Mandela verhaftet?
Nelson Mandela wurde zusammen mit seinem Chauffeur auf der Strasse verhaftet. Gleichzeitig verhaftete man auch annähernd zwanzig weitere Zentralkomiteemitglieder des ANC bei einer breit angelegten Operation der nationalen Sicherheitspolizei. Einige von ihnen ließ man schon vor Nelson Mandela nach zehn bis fünfzehn Jahren freig. Nelson Mandela hingegen, kam mit neun weiteren Mitgliedern des Zentralkomitees des ANC frei.

Welche Rolle spielte die Internationale Gemeinschaft bei der Verhaftung Nelson Mandelas?
Wie aus den Aufzeichnungen des Südafrikanischen Geheimdienstes hervorgeht, wurde Nelson Mandela mit der Unterstützung des israelischen Geheimdienstes verhaftet.

Herr Öcalan wird als einziger Gefangener in einer Zelle auf einer Insel festgehalten. Wie waren die Haftbedingungen Nelson Mandelas?
Er befand sich nicht allein im Gefängnis. Er wurde jedoch in einem Spezialtrakt isoliert festgehalten. So war es ihm nicht möglich, Beziehungen zu den anderen Gefangenen des Gefängnisses zu entwickeln. Mit anderen Gefangenen konnte er nur bei der gemeinsamen Arbeit zusammenkommen, jedoch war das Sprechen untereinander strengstens untersagt. Man ließ ihn schwere Arbeiten wie Steine Klopfen verrichten. In der ersten Zeit der Haft waren die Bedingungen sehr schlecht. Aber als der politische Druck immer mehr zunahm, wurden diese verbessert. Erst viel später legte man ihn mit anderen politischen Gefangenen zusammen, die sich mehrheitlich aus Mitgliedern des ANC zusammensetzten.

Wie würden sie die Zeit nach der Verhaftung Nelson Mandelas beschreiben?
Als er vom Gericht gefragt wurde, ob er sich verteidigen würde, entgegnete er, dass wenn sein bis dahin geführter Kampf es Wert war, den Kampf aufzunehmen, er es erst recht Wert sei, auch für ihn zu sterben. Er war bereit für sein Land zu sterben. Später wurde er auf der Insel inhaftiert. Was waren die Folgen, welche die Verhaftung Nelson Mandelas nach sich zog? Unsere Strategie war die Verteidigung des Friedens. Als erstes war die Gewinnung einer breiten internationalen Unterstützung und die Besinnung auf die eigene Kraft notwendig. Als zweites verstärkten wir den bewaffneten Kampf, der mit der Verhaftung Nelson Mandelas weitgehend geschwächt wurde. Um noch größere Ziele zu erreichen, hatten wir unseren Kampf weiter verstärkt. Jedoch war es nie eine Teil der Politik des ANC gewesen, Gebiete des zivilen Lebens als Ziel zu wählen. Obwohl wir eine Vielzahl von militärischen Einrichtungen hätten angreifen können, verzichteten wir angesichts der im Umkreis lebenden Zivilbevölkerung darauf.

Was für eine Front bildeten sie für diesen Kampf?
Neben der Schaffung des internationalen Drucks und der Ausweitung des Krieges, war es ab 1970 notwendig, Aufstände der Bevölkerung zu organisieren. Um es anders auszudrücken: Es war eine Notwendigkeit, auch Nichtmitglieder des ANC in die Bewegung zu integrieren, um somit die Beteiligung der breiten Masse zu ermöglichen. Ohne Zweifel teilten nicht alle die Ansichten des ANC. Denn der ANC verfolgte eine sozialistische Linie. Dies war eine Situation, welche die schwarzen Menschen nicht akzeptierten. Es waren mehrheitlich Menschen, deren Meinung durch westliche Propaganda geprägt wurde.

Wie entstand die erste zivile Bewegung, als Mandela inhaftiert war?
Die Proteste der Schüler gegen das Bildungssystem, dass Afrikaans als einzige Unterrichtssprache vorschrieb, führten 1976 in Johannesburg zum ersten Aufstand. Afrikaans war die Sprache der Buren. Deshalb wurde sie von den schwarzen Kindern als Sprache der Kolonialisten abgelehnt. Am 16. Juni 1976 führten Tausende von Jugendlichen einen Protestmarsch durch. Mit der Ermordung Dutzender von Jugendlichen deklarierte sich die Nationale Sicherheitspolizei offen als Feind. So entstanden 1976 die Aufstände, die sich wie ein Flächenbrand auf das ganze Land ausweiteten. 1985 erreichten diese ihren Höhepunkt. Unser Motto war, dass wir in Afrika solange keine Ruhe geben werden, bis der Staat von seiner Kolonialpolitik Abstand nimmt. Überall in Afrika organisierten wir Boykotts gegen das Regime in Pretoria. Wir schickten Tausende von Menschen an Plätze, von den der Staat nie erwartet hätte, dass wir sie erreichen könnten. Wir erklärten allen Lords in Südafrika den Krieg. Dieser Zustand hielt über vier Jahre hinweg mit ungebrochener Intensität an. Viele Menschen wurden dabei getötet, Hunderte verhaftet. Hunderte unserer Kader wurden verhaftet und gefoltert. Zwar gab es schon vorher die Folter, doch erst ab diesem Zeitpunkt erreichte sie ihren Höhepunkt.

Wie leitete der ANC den Dialog ein?
Für den ANC war die Phase von 1983 bis 1988 die Zeit, in der die Aufstände und der bewaffnete Kampf den Höhepunkt erreichten. In dieser Zeit rief der ANC mehrmals die südafrikanische Regierung zum Dialog und zu Verhandlungen auf. Gleichzeitig begann die internationale Gemeinschaft den Druck auf die Regierung in Pretoria zu erhöhen. Parallel dazu erhöhten auch wir bis 1990 den äußeren Druck und verstärkten den Widerstand weiter. In diesem Zeitraum begannen internationale Institutionen in Südafrika Untersuchungen durchzuführen. Internationale renommierte große Firmen wie Ford und Volkswagen zogen sich aus Südafrika zurück. Deshalb drängte die internationale Staatengemeinschaft Südafrika dahin, Gespräche mit dem ANC aufzunehmen. Aus dieser Situation zogen wir Nutzen und thematisierten einige Bedingungen.

Was waren das für Bedingungen?
Unsere erste Voraussetzung war, das beide Seiten als gleichberechtigt angesehen werden. Eine weitere Bedingung war die Forderung nach Aufhebung des Verbotes anderer Bewegungen, die sich wie wir für das Volk einsetzten. Weil wir den Traum des Südafrikanischen Volkes erfüllten, konnten wir eine Unterstützung von 75 Prozent gewinnen. Den Beginn von Gesprächen machten wir von der Erfüllung unserer Forderungen abhängig. Im Gegenzug verlangte der Staat die Beendigung des bewaffneten Kampfes. Wir vertraten die Position, dass wir vorerst nur die Waffen schweigen lassen würden und forderten nochmals die Aufhebung der Verbote von politischen Organisationen. Eine weitere wichtige Forderung war die Freilassung aller politischen Gefangenen. Es war selbstverständlich, dass wir nicht nur die Freilassung Nelson Mandelas forderten, sondern eben die aller politischen Gefangenen. Des weiteren forderten wir die Möglichkeit einer ungehinderten Rückkehr aller Guerillakämpfer. Ohne eine solche Rückkehr hätte es keine Gespräche gegeben.

Welche Art von Kampagnen haben sie für die Freilassung von Nelson Mandela durchgeführt?
Es ist klar, dass der Staat nicht alle der Forderungen akzeptierte. Jedoch gab De Kleerk am 2. Februar 1990 eine Erklärung ab, in der er die Aufhebung des über den ANC verhängten Verbotes und die Möglichkeit einer Freilassung Nelson Mandelas verkündete. Zuvor hatten wir über zwei Jahr hinweg im nationalen wie auch internationalen Rahmen eine Freilassungskampagne durchgeführt. Für die Freilassung Mandelas wollten wir die ganze Welt in Bewegung setzen. Trotz des massiven polizeilichen Drucks, konnten wir diese Kampagne über den ganzen Zeitraum hinweg aufrecht erhalten. Nelson Mandela wurde am 11. Februar 1990 freigelassen. Das war gleichzeitig der Beginn der Gespräche. Am Anfang bezeichneten wir sie als Eruierungsgespräche, da wir in Erfahrung bringen wollten, worüber die andere Seite überhaupt sprechen wollte. Wir hingegen waren uns über die Themen im Klaren. Auch legten wir von Anfang an unsere Vorstellungen über die Modalitäten der Gespräche offen. Auf Wunsch des ANC hin wurden 1994 Neuwahlen ausgerufen, bei denen er eine Stimmenmehrheit von 63 Prozent errang.

Können Sie uns die Phase nach der Freilassung Nelson Mandela im Kurzen beschreiben?
Eine Freilassung Nelson Mandelas von selbst war illusorisch. Die Freilassung war ein Ergebnis des Drucks, den das Volk in dieser Hinsicht ausübte. Auch wenn es ein Teil unserer Strategie war, sie in Gesprächen zu fordern, so war die Organisierung des Volkes hinter dieser Forderung ausschlaggebend. Diese Forderung musste vom Volk selbst kommen. Das zeigte auch, dass Nelson Mandela der Vertreter des Volkes war.

War Ihrer Ansicht nach Nelson Mandela der einzige Ansprechpartner?
Der Staat wollte schon vor 1990 Gespräche mit dem ANC aufnehmen. Wir lehnten dies ab. Wir begründeten dies damit, das unser Ansprechpartner Nelson Mandela sei. Das war eine eindeutige Message. Somit war klar, dass es außer Nelson Mandela keinen anderen Ansprechpartner gab. Wir machten deutlich, dass eine Lösung der Apartheitsfrage nur mit Nelson Mandela erreicht werden kann. So konnten wir die Stärke unserer Einheit unter Beweis stellen und die Position Nelson Mandelas, als wahren Führer des ANC stärken.

...dahingehend, dass Nelson Mandela Staatspräsident wurde...
Als Nelson Mandela zum Staatspräsidenten Südafrikas gewählt wurde, waren seine ersten Worte: "Die in der Vergangenheit gegen uns kämpften werden nicht angerührt werden!". "Wir werden unsere Probleme am Tisch gemeinsam lösen. Wir werden euch die Möglichkeit zur Darlegung eurer Position geben. Lasst uns gleichberechtigt als Südafrikaner zusammen arbeiten." Als erstes wurde eine Verfassungsänderung durchgeführt. Deshalb besitzt die Verfassung Südafrikas eine Reihe von Eigenheiten. Einer dieser Eigenheiten ist das direkte Stimmrecht eines jeden Staatsbürgers bei Verfassungsänderungsfragen. Diese Eigenheit ist weltweit ohne vergleichbares Beispiel. Auch besteht das Recht, eine Verfassungsänderung mehrheitlich zu fordern und darüber abstimmen zu lassen.

Wie wurden dann diejenigen abgeurteilt, die sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben?
Wie sollten wir uns an diejenigen annähern, die uns ermordet, ins Gefängnis geworfen, gefoltert und unterdrückt haben? Wie sollten wir uns mit denjenigen Menschen verstehen, die unsere Kinder und Brüder ermordeten? Ein schwieriges Problem. Wir gründeten eine außerordentliche Kommission, um einen nationalen Aussöhnungsprozess zu gewährleisten. Dafür mussten diejenigen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, gefoltert und Menschen ermordet bzw. sich anderweitiger Vergehen schuldig gemacht hatten, einer Wahrheitskommission stellen, der sie ihre Vergehen glaubwürdig darlegten. Nur wer seine Beweggründe und den Ablauf der Taten glaubwürdig darlegte, sowie den Fragen der Kommission breitwillig Auskunft gab, konnte auf Amnestie hoffen. War das nicht der Fall, musste mit Bestrafung gerechnet werden. Zur Zeit leben in unserem Land viele Menschen, die nur knapp Massakern entgangen sind. Viele von ihnen waren vom Krieg unmittelbar betroffen. Die Mehrheit von ihnen war Folter ausgesetzt oder hat im Krieg ein Körperteil verloren. Auch wenn die Hilfe für diese Menschen noch immer nicht im notwendigen Maße gewährleistet ist, so ist das für uns einer der wichtigsten Aufgaben. Als Beispiel kann ich die Garantie für Ausbildung derjenigen Kinder anführen, die vom Krieg unmittelbar betroffen waren; insbesondere diejenigen Kinder, deren Eltern im Kampf ihr Leben verloren. Auch wenn es noch Mängel aufweist, so haben wir dieses Programm zum Erfolg geführt. In Südafrika fordern manche die Aburteilung von Schuldigen anhand dem Beispiels der großen Naziprozesse von Nürnberg. Hinsichtlich eines gesellschaftlichen Aussöhnungsprozesses haben wir darauf verzichtet. So entschlossen wir uns dazu, die Wahrheit über die Kriegsverbrechen festzuhalten und diese ganz Südafrika zugänglich zu machen.

Seitens der Kurden wird immer wieder der Fall Öcalans mit dem von Mandela verglichen. Was denken Sie darüber?
Öcalan hat hinsichtlich der Einigung des kurdischen Volkes die selbe Rolle inne, wie Mandela sie hinsichtlich des südafrikanischen Volkes inne hat. Ich bin mir sicher, dass auch die Kurden eine kulturelle Vielfalt besitzen und sich aus verschiedenen Stammesgruppen zusammensetzen. Wie Mandela, so hat auch Öcalan bei der Einigung dieser verschieden Gruppen eine große Rolle gespielt. Genauso wie Mandela, so hat auch Öcalan für sein Volk eine Identität geschaffen. Er hat dem kurdischen Volk eine gemeinsame Sicht über die eigene kulturelle Artikulation und sein Selbstbestimmungsrecht gegeben. Anders ausgedrückt, hat er ihm die Voraussetzung für die eigene Freiheit gegeben. Südafrika hat sich unter der Führung von Nelson Mandela für die anderen unterdrückten Völker eingesetzt und verlangte auch für diese Freiheit, Demokratie und die Anerkennung ihrer Identität. So wie Nelson Mandela und der ANC vom südafrikanischen Staat als terroristisch deklariert wurde, genauso wurde Abdullah Öcalan und die PKK vom türkischen Staat als terroristisch diffamiert. In Südafrika war Nelson Mandela der Schlüssel zur Lösung der Arpartheitsfrage. Für das kurdische Volk ist Abdullah Öcalan der Schlüssel zur Lösung des eigenen Selbstbestimmungs- und Freiheitsproblems. Deshalb sollte das kurdische Volk ihn bis zu letzt verteidigen. Es ist es an der Zeit, dass der türkische Staat und die Europäische Gemeinschaft diese Realität erkennt. Das habe ich auch einem deutschen Journalisten auf dem Festival in Köln gesagt. Als Mitglied der EU hat Deutschland eine negative wie positive Geschichte. Deutsche Philosophen haben in der Vergangenheit viel für die Menschheitsphilosophie, sowie für die Suche der Menschen nach Freiheit und Demokratie geleistet. Warum verbietet Deutschland eine Bewegung, die für die Freiheit ihres Volkes kämpft. Auf dem Weg hin zu einer Lösung, sollte das über die PKK verhängte Verbot aufgehoben werden. Denn die PKK stellt eigentlich keine Bedrohung für Deutschland dar.

Als letztes würden wir gerne ihre Message an den kurdischen Kampf entgegennehmen:
Meiner Meinung nach, steht der kurdische Kampf auf einer Stufe, auf der wir uns in den 80-iger Jahren befanden. So hat es der kurdische Kampf erreicht, dass er in seiner Existenz anerkannt wird. Die internationale Gemeinschaft sollte in kürzester Zeit für die kurdische Frage eine Lösung finden. Ich glaube auch daran, dass für dieses Problem in naher Zukunft eine Lösung gefunden wird. Der Frieden und die Stabilität im Mittleren Osten ist nicht nur an die Lösung der Palästinafrage, sondern auch an die der kurdischen Frage gebunden. Solange in Kurdistan kein Frieden und Stabilität geschaffen wird, ist die Wahrnehmung von gewissen ökonomischen Interessen nicht möglich. Wenn der freie Fluss des Öles aus der Region nach Asien gewährleistet werden soll, ist dies eine grundsätzliche Voraussetzung. So muss eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union nur mit der Lösung der kurdischen Frage verbunden sein. Wen die Türkei die dabei vorhanden Hindernisse beseitigen will, so muss sie dieses Problem als solches erkennen und lösen. Das kurdische Volk hingegen sollte darauf beharren, dass eine Lösung nur mit Abdullah Öcalan erreicht werden kann. Eine Lösung wird weder von England noch von Frankreich ausgehen. Sie wird nur vom kurdischen Volk und seinem Führer Öcalan ausgehen. Es ist endlich an der Zeit, dass über eine Lösung diskutiert wird.

Unserem Wissen nach kennen Sie Abdullah Öcalan näher. Was ist Ihre Meinung über das von ihm dargelegte Friedensprojekt?
1997 hatte ich in Damaskus die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Abdullah Öcalan. Schon 1997 hat er die Ernsthaftigkeit in punkto einer friedlichen Lösung bekräftigt. Es kann nicht erwartet werden, dass das kurdische Volk auf sein Selbstbestimmungsrecht verzichtet. Ich weiß aber auch, dass Abdullah Öcalan den Frieden von ganzen Herzen wünscht. Der türkische Staat ist derjenige, der sich nicht einer friedlichen Lösung annähert und jegliche dahingehende Bemühung mit Gewalt beantwortet. Niemand kann die Südafrikaner, die Palästinenser und heute die Kurden zu ihrer Spaltung zwingen. Sie werden sich dagegen natürlich zur Wehr setzen. Darauf werden sie nicht verzichten. Nach meiner Meinung nach, haben die Kurden mehr oder weniger verschiedene Türen zu öffnen versucht. Die Türken haben sie nicht geöffnet, erst als der Druck zunahm öffneten sie diese einen Spalt weit. 1997 nahm ich persönlich an einem Kurdenfestival teil. Bei dem diesjährigen Festival habe ich eine verstärkte kurdische Solidarität feststellen können. Der Wille und der Wunsch nach Demokratie sowie einer friedlichen Lösung ist stärker geworden. Als Freiheitskämpfer kann ich sehr gut verstehen was es bedeutet, wenn die eigene Existenz vollkommen geleugnet wird. Mein Vorschlag an die Türkei: Soweit ich es zu sehen vermag, sind die Kurden ein fast schon an das Zeitalter der Mythologie reichend altes Volk. Es besitzt eine tiefverwurzelte und unauslöschliche reiche Kultur. Eine Lösung ist im Interesse der Türkei. Deshalb sollten dahingehend die westlichen Länder auf die Türkei einwirken. Das durch den Krieg entstandene Misstrauen muss beseitigt werden. Wir als ANC verstehen euren Kampf, den wir haben darin die gleichen Erfahrungen gemacht. Auch unser Kampf steht noch nicht an seinem Ende. Auch wir kämpfen weiterhin für die Freiheit. Unser Kampf wird solange weiter geführt werden, bis die Lebensqualität eines jeden Afrikaners sich gebessert hat. Deshalb unterstützen wir den Kampf des kurdischen Volkes. Niemand sollte glauben, dass das Problem sofort gelöst werden könnte. Ohne Zweifel wird eine Lösung nicht leicht zu erreichen sein. Es war ein richtiger Entschluss, die Waffen schweigen zu lassen und Gespräche einzufordern, um eine friedliche Lösung zu ermöglichen. Aufgrund unserer Erfahrungen glauben wir, dass dieser Entschluss in wissenschaftlicher Hinsicht weise ist. Jedoch rufen wir das kurdische Volk dazu auf, nicht ihre gesamten Waffen zu übergeben.

Das Interview erschien in Özgür Politika vom 24. September 2000
(Übersetzung: Internationale Initiative)